Methodik
Fachauskunft
Zur Generierung einer evidenzbasierten Fachauskunft für den Einsatz von Protrusionsschienen bei Schlafapnoe wurden zwei systematische Übersichtsarbeiten herangezogen, jedoch wurde nicht systematisch selbst nach Literatur gesucht oder diese Reviews mit neuester Literatur ergänzt.
Zur Aussage wurden der Cochrane Bericht1 zum Vergleich CPAP (kontinuierliche positive Atemdruck Anwendung; Gerät mit Schlafmaske) versus Schlafschiene und der Review2 von Ferguson et al., beide Arbeiten aus 2006, herangezogen.
Ergebnisse
Die zu beantwortende Anfrage gliedert sich in zwei unterschiedliche Teilbereiche:
1. Sind Protrusionsschienen zweckmäßig in der Behandlung der Schlafapnoe?
Die Studie von Ferguson et al. 2006 kommt in ihrem ausführlichen detaillierten Literaturreview zu folgenden Ergebnissen:
- wesentlich für die entsprechende Funktion und die Reduktion der Nebenwirkungen ist die Art der Schlafschiene (es gibt verschiedene Anbieter) und die Anpassung derselben, sowie das Vorhandensein suffizienter Zähne
- Die Reduktion der Schlafapnoe-Ereignisse pro Nacht und die Besserung der Sauerstoffsättigung waren in den meisten Studien die Endpunktkriterien und wurden zu etwa 50% erreicht. Nur wenige Studien inkludierten auch die Schlafqualität und die Schnarchreduktion als Outcome. (Kap. 3.2.3 in Ferguson) - Protrusionsschienen zeigen geringeren Erfolg bei schwereren Formen der Schlafapnoe und bessere Erfolge bei einem niedrigeren AHI (Apnoe-Hypopnoe- Index) (Kap. 3.2.4.1 in Ferguson)
- Die Patientencharakteristika, die eine optimale Wirkung von Protrusionsschienen bedingen (z.B. Einfluss von Alter, Geschlecht, BMI) sind nicht genau evaluiert
- Protrusionsschienen sind weniger effektiv als CPAP, aber besser akzeptiert (Kap. 3.2.4.5 in Ferguson). Zu diesem Schluss kommt auch die Übersichtsarbeit der Cochrane Group
- Als first-line Behandlung bei schwerer Schlafapnoe sollen Protrusionsschienen nicht zum Einsatz kommen, es sei denn die CPAP Behandlung oder eine Operation im Bereich der oberen Luftwege ist fehlgeschlagen
- Als Nebenwirkungen wurden Kiefer-, Gesichts-, Zahnschmerzen, erhöhter Speichelfluss, Kiefergeräusche, Mundtrockenheit, Kauirritationen und Zahnveränderungen bei 6-86% der Patienten beobachtet. Sie treten zwar zahlreich auf, werden aber generell als "gering beeinträchtigend" eingestuft
- Die American Academy of Sleep Medicine and the Academy of Dental Sleep Medicine empfehlen ein Behandlungsprotokoll für das Management der Schlafapnoe mit Schlafschienen, in dessen Erstellung der/die Mediziner(in) (SchlafmedizinerIn) und ein(e) Zahnarzt/-ärztin eingebunden sind
2. Sind Mikrochips für die Compliance-Überwachung beim Tragen von Protrusionsschienen zweckmäßig?
- Die Compliance-Messungen in den Studien der Übersichtsarbeit von Ferguson et al. wurde teils mit Monitoring, teils mit Selbstangaben der Patienten erhoben und variiert zwischen 48 und 100% für die Protrusionsschienen
- Aus den der Anfrage beigelegten Unterlagen kann für die Compliance-Messung via Mikrochip keine nachvollziehbare Aussage getroffen werden. Die gezeigten Daten beziehen sich auf das Tragen von Zahnspangen, die üblicherweise aus anderen Gründen und bei einer anderen Patientenklientel Anwendung finden. Die Art der Trage(dauer)messung durch und eventuelle Manipulationsmöglichkeiten des Mikrochip sind nicht beurteilbar.
Schlussfolgerung
In die Frage, ob Protrusionsschienen für die Behandlung der (leichteren Form von) Schlafapnoe als Heilbehelf/ Hilfsmittel von der SV übernommen werden sollten, ist das CC Heilbehelfe/ Hilfsmittel einzubeziehen. Dabei ist zu beachten, dass Protrusionsschienen einmalig individuell angepasst (und eventuell nachjustiert) werden, jedoch damit als orale Applikation nicht weitergegeben werden können, während ein CPAP Gerät üblicherweise gemietet wird und nach Therapieende weiterverwendet wird. Die zwei erwähnten Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Anwendung oraler Schienen bei leichteren Formen der Schlafapnoe (niedrigerer AHI) bzw. bei Therapieversagen von CPAP oder operativer Behandlung bei schwereren Formen der Schlafapnoe durchaus überlegenswert sind.
Für eine Compliance-Messung der Anwendung des CPAP Geräts kann die Betriebsstundendauer als Surrogat herangezogen werden. Zeigt sich, dass ein Patient damit nicht entsprechend therapiert werden kann, weil er/ sie nicht compliant ist, kann das Gerät anderweitig vergeben werden. Dies wäre bei einer Protrusionsschiene nicht möglich (orale Anwendung, individuelle Anpassung), was eine Compliance-Messung durch Mikrochip hinterfragenswert erscheinen lässt.
Bei Protrusionsschienen stellt sich eher die Frage, ob sie nicht durch den Mikrochip zusätzlich verteuert werden, und nach individueller Anpassung mit oder ohne Compliance so oder so nicht entzogen werden können. Diese Art der Therapie erfordert primär eine entsprechend offene Information zu möglichen auftretenden Anpassungsproblemen - analog dem Umgang mit Medikamentenverschreibungen - und die Einschätzung des Arztes/der Ärztin, Zahnarztes/ Zahnärztin und Patienten/ Patientin zur Therapiewilligkeit.
Eine weitere Compliance-Kontrolle nach einmalig erfolgter Zahlungsübernahme durch die SV erscheint danach nicht mehr zweckmäßig.